Die Gamesbranche und Chancen für Organizing
Computer- und Videospiele sind beliebt und haben ein meist positives Image: hip, unterhaltend, allerdings mit Suchtfaktor. Die Beschäftigten in der Games- und Tech- Branche, die diese Spiele herstellen, beklagen dagegen seit vielen Jahren schlechte Arbeitsbedingungen und ungleiche Bezahlung, fehlende Rechte sowie mangelnde soziale Standards am Arbeitsplatz. Zusammenschluss und Gewerkschaften? Bislang meist Fehlanzeige. Nun kamen wichtige Impulse dazu aus Berlin.
von Helma Nehrlich
Die Spieleentwicklungs- und Tech-Branche ist ein dynamischer Wirtschaftssektor auch in Deutschland: 2020 waren dort etwa 570.000 Menschen beschäftigt, es gibt mittlerweile mehr als 47 000 Unternehmen und in der Gamesbranche wurden 50 Millionen Euro Umsatz verzeichnet. Auch die Corona-Pandemie hat das Wachstum nicht gebremst. Die Branche ist zudem breit gefächert und reicht von der Entwicklung über das Gestalten und Programmieren von Video- und Onlinespielen und Augmented Rality-Anwendungen bis zur Konstruktion entsprechender Konsolen, 3-D-Brillen und anderen Equipments. Auch die dahinter stehende berufliche Qualifikation von »Gamern« ist vielfältig. Vertreten sind IT-Spezialisten und Softwareentwicklerinnen/-entwickler, Elektronikproduzenten und Marketing-Spezialistinnen, aber auch Videofilmer, Grafikerinnen, Mediengestalter, Texterinnen und Übersetzer. Die Games-Produktion vereint also sowohl mehr technisch fundierte Tätigkeiten im IT-Bereich, die eher besser vergütet werden als die enthaltene künstlerisch-kreative Arbeit.
Zudem: Viele Firmen in der boomenden globalen Games-Industrie haben ursprünglich als Start-ups begonnen, sind aber längst fest auf einem eigenen Markt etabliert. Unternehmen unterschiedlicher Größe – von Tech-Konzernen wie Microsoft, Nintendo oder großen Entwicklern wie Ubisoft bis zu kleinen Studios – verfügen mittlerweile über entsprechendes Kapital und Know-how, über Firmensitze und einen relativ festen Mitarbeiterstamm, fahren beträchtliche Gewinne ein. Sie bilden mehr und mehr einen profitablen Industriezweig.
Beschäftigte votieren für gewerkschaftliche Organisation
Allerdings: Arbeitsbedingungen und sozialen Beziehungen haben mit diesen Entwicklungen längst nicht immer Schritt gehalten: Was als mehr oder weniger freiwillige projektbasierte Kooperation technikaffiner junger Leute mit hohem Engagement und Hang zur Selbstausbeutung begann, müsste längst in Beschäftigungsverhältnisse mit geregeltem Einkommen und Arbeitszeit, mit Urlaubregelungen und Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und Möglichkeiten zur Weiterbildung – am besten mit tariflichen Vereinbarungen, auch klaren Urheberrechtsreglungen überführt worden sein.
Das ist aber kaum der Fall. Entgelte sind eher intransparent und Verhandlungssache, Arbeitsbedingungen oft nicht klar geregelt, es gibt nur geringen gewerkschaftlichen Einfluss und kaum Interessenvertretung. Eine aktuelle Befragung von Videogame-Workers aus 29 Ländern belegte, dass zu geringe Bezahlung (in 66 Prozent), ausufernde Arbeitszeiten (in 43 Prozent), Diskriminierung und/oder sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz (in 35 Prozent) und weitere Probleme auch als treibende Kräfte für mehr gewerkschaftliche Organisation gesehen werden. In einem neuen Report von UNI Global Union, dem weltweiten Gewerkschaftsverband für die Dienstleistungsbranchen, ist auch nachzulesen, dass aktuell 79 Prozent der Befragten stärkeres gewerkschaftliches Engagement in ihrem Arbeitsumfeld befürworten. UNI Global hat sich deshalb gerade entschlossen, »Gaming« als neuen eigenständigen Sektor ihrer Tätigkeit zu formieren.

Die Defizite ähneln sich weltweit. In manchen Weltregionen sind Arbeitsbedingungen besonders stark von Diskriminierung, Ungleichbehandlung und Ausbeutung geprägt. Ähnlich wie Click- oder Platform-Worker sind die Beschäftigten in der Spieleentwicklung deshalb schon länger ins Blickfeld der internationalen Gewerkschaftsbewegung gerückt. Die Gründung einer »Alphabet Workers Union« ist ein Meilenstein im Ringen um bessere Arbeitsbedingungen bei Google & Co. Auch mit SAP gibt es dank gewerkschaftlicher Anstrengungen in einigen Ländern bereits kollektive Vereinbarungen über Arbeitsbedingungen.
Game Worker herzlich willkommen
Auch ver.di hat die Games und Tech Branche verstärkt im Blick. Auf Initiative von Christine Muhr aus dem ver.di-IT- und Telekommunikationsbereich, die zugleich stellvertretende Vorsitzende des UNI-ICTS-Sektors ist, wurde der boomende Bereich 2021 als Tätigkeitsschwerpunkt in die europäische UNI-ICTS-Satzung aufgenommen. Diesem Signal ist es wesentlich zu danken, dass UNI Global Union erstmals Games- und Tech-Worker aus verschiedenen Regionen der Welt zu einem Treffen speziell nach Berlin eingeladen hat. ver.di war Mitgastgeberin. Gekommen waren Abgesandte aus den USA, aus asiatischen Ländern wie Südkorea und Indien, aber auch aus Süd- und Osteuropa.
»Organizing for the Win« hieß das Thema der Debatten am 16. und 17. Juni 2022, die eine Game und Tech Workers Assembly als noch recht losen internationaler Zusammenschluss stärken sollte. Das Treffen diente dem Erfahrungsaustausch, um gewerkschaftliche Organisation und die Bildung kollektiver Interessenvertretungen zu fördern. Themen wie Digitalisierung und ökologische IT-Nachhaltigkeit standen ebenfalls auf der Agenda. Als Referenten konnte unter anderem Dr. Jack Poulson gewonnen werden, der in der gewerkschaftlichen Tech Worker Szene ein absolutes Vorbild ist und von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern mit Standing Ovations bedacht wurde. Das galt auch für Cha Sang-Jun, Gründer der (süd)koreanischen Game Gewerkschaft Smilegate Union.
»Game Worker sind herzlich willkommen, ihre Erfahrungen in der Arbeitswelt mit uns zu teilen und ihrerseits von der Stärke und Gestaltungsmacht unserer Gewerkschaft zu profitieren«, erklärte ver.di-Bundesvorstandsmitglied Christoph Schmitz zu Beginn der Konferenz. Bisherige Einzelkämpfer und kleine Teams sollten gewerkschaftlichen Zusammenschluss üben, die Solidarität und Erfahrung in einer großen Organisation nutzen, gleichzeitig aber Impulse aus der modernen globalisierten Arbeitswelt einbringen.
Zu einem sehr motovierten, kämpferischen Klima der Debatten und regelrechter Aufbruchstimmung trugen aktuelle Berichte von ersten Organisationserfolgen in den USA bei, etwa in einem Tochterunternehmen des gerade von Microsoft übernommenen kalifornischen Games-Giganten »Activision Blizzard«. Dort besteht nun die Chance, erstmals tarifvertragliche Reglungen auszuhandeln. Deutlich wurde aber auch, dass noch ein langer Atem und viel gewerkschaftliches Engagement nötig sein werden, zu messbaren und nicht nur punktuellen Erfolgen zu kommen. Als Handlungsfelder nannten die Konferenzteilnehmer: Wertschätzung von Arbeit, Gleichbehandlung und Kampf gegen Diskriminierung am Arbeitsplatz, bessere Bezahlung und Arbeitsbedingungen.
Um künftig politische Ziele etwa in Richtung Verwertungsrechte oder auch tarifliche Regelungen zur Verbesserung von Arbeitsbedingungen in der Gamesbranche überhaupt durchsetzbar zu machen, braucht es auch bei ver.di Voraussetzungen. Zunächst seien »Themen und Arbeitsfelder zu identifizieren, die Beschäftigte umtreiben, um gemeinsam eine Perspektive zu entwickeln und Projekte umzusetzen«. Dazu, so Johannes Brückner, Tarifsekretär im ver.di-Bereich Kultur und Medien, brauche es noch mehr Informationen über die Bedingungen in der Branche selbst. Es müsse mit Aktiven und Interessierten gesprochen werden – auch, um sie selbst stärker zu vernetzen. Dass die Konferenz dazu ein »guter und gemeinsamer Start war, um ver.di in der stark wachsenden Branche zu positionieren«, dieses Fazit zieht Mitorganisatorin Christine Muhr.